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Zitiervorschlag

Aus: Zeitschrift für Tagesmütter und -väter (ZeT) 2000, Heft 5, S. 20-21

Miteinander reden - aber wie? Worauf Sie bei problematischen Gesprächen achten sollten

Martin R. Textor

 

Zu den unangenehmen Seiten der Tätigkeit als Tagesmutter gehören "Problemgespräche" mit Eltern - sei es wegen Verhaltensauffälligkeiten bzw. Entwicklungsverzögerungen der Kinder, wegen Erziehungsfehlern der Eltern oder weil diese die Tagespflegeperson kritisieren, da sie den Eindruck haben, dass ihr Kind nicht genügend gefördert oder falsch behandelt wird. Manchmal kommt es dann zu wechselseitigen Schuldzuweisungen, Vorwürfen, Streit und Verärgerung.

Es ist offensichtlich, dass solche Auseinandersetzungen nicht weiterführen. Bevor ein Gespräch über die "Probleme" eines Kindes oder die "Fehler" von Eltern anberaumt wird, sollte sich die Tagesmutter zunächst einmal ihrer Gefühle bewusst werden und sich von ihnen distanzieren. Sie sollte zu einer Grundhaltung gelangen, die es ihr erlaubt, Verständnis für die andere Seite zu empfinden. Wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass nicht die Tagesmutter das erzieherische Verhalten der Eltern oder deren Beziehung zum Kind verändern kann - vielmehr müssen die Eltern selber aktiv werden. Diese sind aber am ehesten offen für eine Reflexion der Familienerziehung oder für Ratschläge, wenn sie sich akzeptiert und verstanden fühlen.

Von großer Bedeutung ist deshalb, dass die Grundsätze der Gesprächsführung befolgt werden. Besonders wichtig sind hier folgende Grundhaltungen:

  1. Gesprächsbereitschaft und Geduld: Für ein gutes Gespräch müssen sich beide Seiten Zeit nehmen. Den Eltern sollte der Eindruck vermittelt werden, dass es im Augenblick kein wichtigeres als ihr Anliegen gibt.
  2. Vertrauen: Beide Seiten müssen die Gewissheit haben, dass das Gespräch vertraulich ist und ihre Aussagen nicht anderen Menschen zugetragen werden. Nur dann werden sie über sich selbst sprechen und offen diskutieren. Sollen Gesprächsinhalte Dritten zugänglich gemacht werden, muss dieses angesprochen und um Zustimmung gebeten werden (Datenschutz).
  3. Wertschätzung und Respekt: Die Eltern sollten den Eindruck gewinnen, dass sie als Person geschätzt und geachtet werden und dass ihnen positive Gefühle ("Wärme") entgegengebracht werden. Die Sichtweisen, Empfindungen und Werte der Eltern werden akzeptiert und nicht an den eigenen Vorstellungen und Normen gemessen. Nur einzelne Verhaltensweisen werden problematisiert.
  4. Einfühlsames Verstehen ("Empathie"): Die Tagesmutter interessiert sich für die subjektive Welt der Eltern und zeigt Verständnis. Sie versucht, sich in die Person ihrer Gesprächspartner hineinzuversetzen.
  5. Offenheit und Echtheit: Die Tagesmutter reagiert als Person, öffnet sich selbst, bringt ihre Gedanken und Gefühle in klaren Aussagen zum Ausdruck. Verbale Botschaft, Gesichtsausdruck und Körperhaltung stimmen überein ("Kongruenz").
  6. Achtung vor der Eigenständigkeit und Selbstverantwortung der Eltern: Verhaltensänderungen können wohl angeregt werden, aber nur die Eltern können sich selbst ändern. So wird Vertrauen in ihre Fähigkeit zur Selbsthilfe gezeigt, anstatt dass ihr Problem zum eigenen gemacht wird und die Tagesmutter schließlich als "hilflose Helferin" an ihm scheitert. Zugleich wird Verantwortung für das eigene Handeln und Erleben, die eigenen Bedürfnisse, Einstellungen und Emotionen übernommen.

Diesen Grundhaltungen entsprechen bestimmte Gesprächstechniken. Dazu gehört beispielsweise das "aktive Zuhören". Hier nimmt die Tagesmutter nicht nur auf, was gesagt wurde, sondern bemüht sich auch zu verstehen, was gemeint wurde. So akzeptiert sie zunächst einmal die Gedanken und Gefühle der Eltern und stellt zugleich ihre eigenen Reaktionen, ihre Meinungen, Wertungen und Emotionen zurück. Dann versucht sie, dass Gesagte mit eigenen Worten wiederzugeben und dabei vor allem auf die emotionalen Inhalte einzugehen (Rückmeldung/Feedback). Bei einem solchen Verhalten erfahren die Eltern, wie ihre Aussagen bei der Tagesmutter angekommen sind und fühlen sich in der Regel verstanden. Missverständnisse können sofort ausgeräumt und notwendige Zusatzinformationen gegeben werden. Die Eltern müssen sich nicht verteidigen, sondern können sich leichter mit den Problemen ihres Kindes und ihren eigenen Schwierigkeiten auseinandersetzen und nach Lösungen suchen. Sie werden kompromissbereit und zugänglicher für Vorschläge, Empfehlungen und Ratschläge.

Zu Übungszwecken (mit dem eigenen Ehemann als Gesprächspartner) oder in besonders emotional geladenen Situationen kann das aktive Zuhören auch in der Form eines "kontrollierten Dialogs" praktiziert werden. Dieser umfasst folgende Schritte:

  1. Die erste Person spricht.
  2. Die zweite Person gibt das Gesagte in eigenen Worten wieder.
  3. Die erste Person bestätigt, dass sie richtig verstanden wurde, oder ergänzt ihre Aussage.
  4. Erst wenn sich die erste Person richtig verstanden fühlt, darf die zweite ihre Gedanken und Gefühle äußern.
  5. Nun gibt die erste Person das Gesagte in eigenen Worten wieder usw.

Eine andere wichtige Gesprächstechnik wird als "Ich-Botschaft" bezeichnet. Die Tagesmutter kritisiert nicht das Kind oder die Eltern, sondern beschreibt das Problem so, wie sie es persönlich erlebt: "Ich habe Schwierigkeiten mit Ihrem Kind. Ich erlebe sie vor allem in der und der Situation. Dann reagiere (empfinde) ich leicht so oder so. Können Sie mir vielleicht helfen, das Verhalten des Kindes zu verstehen?" Offensichtlich ist, dass bei Ich-Botschaften die Wahrscheinlichkeit recht gering ist, dass sich die Eltern als angegriffen und beschuldigt erleben. Hingegen ist anzunehmen, dass sie dann berichten, wie sie selbst das Kind erfahren, und dass sie ihre Gefühle äußern. Eltern und Tagesmutter können dann das jeweilige Problem entsprechend der Stufen des sogenannten "Problemlösungsprozesses" angehen:

  1. Problemdefinition: genaue Beschreibung des Problems; Eltern und Tagesmutter müssen diese Definition akzeptieren.
  2. Suche nach den Ursachen des Problems: Bestimmung vorausgehender und nachfolgender Ereignisse und Verhaltensweisen, von Auslösern und Verstärkern; Suche nach problematischen Strukturen und Erziehungsfehlern in Tagespflege und Familie.
  3. Zielbestimmung: Festlegung realistischer Ziele für den Problemlösungsprozess.
  4. Suche nach allen denkbaren Lösungsmöglichkeiten: Brainstorming; anschließend Beurteilung der Vor- und Nachteile sowie möglicher Umsetzungsschwierigkeiten.
  5. Auswahl der voraussichtlich besten Alternative; danach Planung der Umsetzung sowie Ermittlung benötigter Ressourcen und möglicher Widerstände.
  6. Umsetzung der Alternative in Familie und/oder Tagespflege; dabei gegenseitige Unterstützung und Hilfestellung.
  7. Erfolgskontrolle: Überprüfung der Effektivität des Problemlösungsversuches.

Insbesondere wenn sich bei der Ursachenanalyse (Schritt 2) herausstellt, dass sich vor allem die Eltern ändern müssen, sollte sich die Tagesmutter zurückhalten und ihre Gesprächspartner selbst nach Lösungsmöglichkeiten suchen lassen. So zeigt sie, dass sie ihnen zutraut, dass sie ihre Probleme selber lösen und ihr Verhalten selbst ändern können. Die Eltern übernehmen dann in der Regel mehr Verantwortung und bemühen sich stärker um einen Erfolg.

Die Tagesmutter beschränkt sich dann auf die Unterstützung und Beratung der Eltern beim Durchlaufen der folgenden Stufen des Problemlösungsprozesses. Sie hilft beim Analysieren der Gesamtsituation und beim Strukturieren von Informationen, regt neue Sichtweisen an, gibt Tips zum Umsetzen von Lösungsmöglichkeiten, motiviert zu konkreten Verhaltensänderungen, ermutigt bei Ängsten und Zweifel, führt bei Abschweifungen zum Problem zurück usw. Eventuell sind mehrere Besprechungen nötig, um Probleme bei der Umsetzung der Lösungsstrategie zu diskutieren, eine andere, erfolgversprechendere Alternative auszusuchen oder neu aufgetretene Schwierigkeiten zu klären.

Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de