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Zitiervorschlag

Wenn Verhalten Probleme macht! Ein Denkanstoß für neue Wege in der Arbeit mit Kindern mit Problemverhalten im Kindergarten

Manfred Hofferer unter Mitarbeit von Renate Fanninger und Stefan Royer


Immer öfter klagen Kindergartenpädagoginnen darüber, dass die Zahl der Kinder, die in ihrem Verhalten auffällig sind zunehmen und das Arbeiten immer schwieriger wird. Diese Beobachtung entspricht insofern den Tatsachen, da international dieser Trend beobachtet wird und davon ausgegangen werden kann, dass zumindest 33,4% - jedes 3 Kind - das einen Kindergarten besucht, eine mehr oder weniger ausgeprägte Verhaltensstörung zeigt (vgl. Jantzen 1964, Streuber et al. 1973, Strozka 1974, Fthenakis 1976, Castell 1981, Felsleitner 1993 u.a.). Die häufigsten Formen dabei sind: soziale Anpassungsprobleme, aggressives Verhalten, Einnässen und Einkoten bzw. Probleme mit der Reinlichkeitserziehung, Essstörungen, soziale Gehemmtheit und Isolation, und zusätzlich alle Formen von Psychosomatisierungen und Entwicklungsretardierungen und Wohlstandsverwahrlosung. Auffällig ist auch, dass in der wissenschaftlichen Literatur immer häufiger familiäre Faktoren (Trennung und Scheidung) und persönliche Faktoren der Eltern (Berufsumorientierungen, Arbeitslosigkeit, Karriere, Studium sowie veränderte Wert- und Normstrukturen) als Ursache der Probleme in den Vordergrund treten (Hartup 1985, zit. nach Mills und Rubin 1993, sowie Amato und Keith 1991), was deutlich darauf hinweist, dass Probleme in der frühkindlichen Bindungs- und Beziehungsentwicklung sowie der kindlichen Sozialisation bestehen.

An dieser Stelle wollen wir festhalten, dass die Kommunikationspädagogik im Verstehen, bei der Beschreibung und in der Verwendung der Begriffe der Symptome nicht von einer Norm, sondern vom Individuum ausgehen. Es wird nicht danach gefragt oder gar beurteilt, wie das Kind in seinem Verhalten von einer Norm abweicht, sondern, wie es dem Kind in den ihm gegebenen Umwelten gelingt, seine Bedürfnisse zu äußern und zu realisieren und was dabei innere und äußere hinderliche bzw. förderliche Faktoren sind.

Eine kleine Analyse und ihre Ergebnisse

Im März 1999 wurde in einem Forschungsprojekt des Instituts für Kommunikationspädagogik eine Analyse der Problembereiche vorgenommen, die bei Kindergartenkindern (N=75), die im Institut wegen ihres Problemverhaltens in Betreuung bzw. Therapie übernommen wurden, zu finden sind. Fasst man die Ergebnisse zusammen, dann wird deutlich, dass für die überwiegende Zahl der Kinder (88%) zumindest folgende Problembereiche zutreffen:

  • Defizite in der adäquaten Befriedigung kindlicher Grundbedürfnisse,
  • häufiger Wechsel zwischen Verzärtelung und Vernachlässigung,
  • unangemessene Anforderungen im Sinne eines zu raschen Wechsels von Unselbständigkeit zu Selbständigkeit,
  • fehlende Einbindung der Kinder in die Organisation und Entwicklung der Familie,
  • fehlen von angemessenen Strukturen sowie Kontinuität und Stabilität in der emotionalen Zuwendung und Beziehung,
  • fehlen von ausreichend gemeinsamen Tätigkeiten (Spiel, Erlebnis),
  • fehlen von verbindlichen und überdauernden Regelsystemen bzw. übermäßig stark ausgebildete rigide Norm- und Wertstrukturen,
  • inadäquate und/oder fehlende Kommunikation in der Familie,
  • häufige Krisen und kritische Lebensereignisse in der Familie (Partnerschaft, Beruf, häufiger Umzug, Wechsel zwischen das Kind betreuende Institutionen etc.),
  • Verlust bzw. Fehlen von konstruktiven Problemlösungskapazitäten mit starker Tendenz zu aggressiv-destruktiven Problemlösungen bzw. vermeidendem Verhalten,
  • Tendenz zur Vereinzelung - d.h., fehlende Beziehungen der Familie zu Verwandten, Bekannten, Nachbarn und zu anderen Familien und damit verbunden der
  • zunehmende Verlust der Möglichkeit von sich gegenseitig fördernden und reflektierenden Familien-, Partner-, Beziehungs- und Erziehungsmodellen.

Nur bei 12% der untersuchten Kinder können andere Ursachen (hirnorganische, die Wahrnehmung betreffende sowie motorische Beeinträchtigungen und verschiedene Formen von Behinderungen oder chronischen Erkrankungen) gefunden werden.

Fasst man die Ergebnisse zusammen und fragt danach, was den betroffenen Kindern hauptsächlich fehlt, dann entsteht ein charakteristisches Bild der "Bedürftigkeit". Die Bedürftigkeit liegt einerseits überwiegend im sozial-emotionalen Bereich und dabei im Speziellen dort, wo es um eine (1) adäquate Befriedigung (früher) kindlicher (menschlicher) Grundbedürfnisse geht und andererseits im (2) Suchen von dem Entwicklungsstand angemessenen Strukturen und Ordnungen sowie (3) Kontinuität und Stabilität in den oben angesprochenen Punkten. Mit diesen Bereichen eng verwoben ist die (4) Art und die Qualität der Erfahrung und des Umgangs mit den Elementen "Begegnung, Beziehung- und Bindung".

Folgen und Auswirkungen

Die Folge ist, dass wir immer häufiger auf Kinder treffen, die ein wenig starkes und darum leicht zu verunsicherndes ICH ausgebildet haben, die ein geringes Selbstwertgefühl zeigen, fehlende Handlungskompetenzen aufweisen, die relativ unselbständig sind und dazu neigen, ihre Bedürfnisse über frühkindliches Verhalten zum Ausdruck zu bringen und zu organisieren und die zusätzlich mehr oder weniger stark ausgebildete Entwicklungsrückstände in der Grob- und Feinmotorik, der Handlungsplanung und Handlungssteuerung, in Gedächtnis, Denken, Wahrnehmung und Sprache aufweisen. So zeigen diese Kinder entweder ein Verhalten, das sich in einem sich zurückziehenden und nicht teilnehmenden, einem sich abschließendem (einschließlich aller Formen psychosomatischer Reaktionen), oder in einem übermäßig aggressiv-destruktiven, gegen sich selbst und/oder gegen andere gerichtetes Verhalten ausdrückt, so dass für das Kind auch im Kindergarten Einschränkungen im sozialen, im kommunikativen, im Lern- und Leistungsbereich sowie in der Systemanpassung gegeben sind.

Nun muss man, wenn man die oben angestellten Ergebnisse ernst nimmt, davon ausgehen, dass hinter dem Verhalten der Kinder keine Böswilligkeit oder charakterliche Abart zu suchen ist, sondern vielmehr die verzweifelte Suche nach befriedigenden Lebenszuständen - nach ausreichend Ordnung und Ruhe, Achtung und Anerkennung, Respekt und Geltung etc. - steht. Diese unter dem Begriff "Beziehungs-, Bindungs- und Anpassungsstörungen" (vgl. dazu u.a.: Dilling, H., Hrsg.: Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10, Kapitel V (F); klinisch-diagnostische Leitlinien/Weltgesundheitsorganisation. 2. korr. Aufl., Bern/Göttingen/Toronto/Seattle, Huber, 1993) (zu Personen, Spielsachen und Spielinhalten, Lernstoffen etc.) subsumierten Symptome und alle jene Formen, die in den Bereich der Psychosomatosen fallen, sind die Störungen, auf die sich der Kindergarten in Zukunft in vermehrtem Maße vorbereiten und einstellen muss.

Zusätzlich wird sich der Kindergarten der Zukunft, neben den veränderten Bedürfnislagen der Kinder, mit den Problemlagen und den Problemsituationen der Eltern beschäftigen und entsprechende Konzepte und Angebote der Elternarbeit anbieten müssen, um den gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Dieser Frage ist derart differenziert und genau zu begegnen, dass sie in dieser Arbeit nicht ausreichend beantwortet werden kann. Wir werden jedoch an geeigneter Stelle eine Beantwortung aus unserer Sicht nachholen.

Überlegungen zur Gestaltung von Rahmenbedingungen

Das Institut für Kommunikationspädagogik hat, aufbauend auf den langjährigen Erfahrungen in der Arbeit mit Gruppen von Kindern mit Problemverhalten sowie in der Arbeit mit Kindergärten, ein Therapiesystem entwickelt, das die besonderen Bedürfnisse und Problemlagen dieser Kindern berücksichtigt und das auf den Kindergarten, mit wenigen Modifikationen, angewendet werden kann.

Die Kommunikationspädagogik geht davon aus, dass der zunehmenden Problematik der Beziehungs-, Bindungs- und Anpassungsstörungen sowie den daraus resultierenden psychosomatischen Reaktionen und den damit verbundenen Begleiterscheinungen außerhalb von Therapie nur dann effektiv begegnet werden kann, wenn den Kindern ein System von Strukturen, Systemfeldern und darin beheimateten Angeboten zur Verfügung gestellt werden kann, die anschlussfähig genug sind, so dass sie Raum für die speziellen Probleme der Kinder geben. Andererseits braucht es "neue Pädagogen und Pädagoginnen", deren Kompetenz vor allem darin besteht, dass sie sich auf den anderen einlassen, konzentrieren und ihn beobachten können (Beobachten meint an dieser Stelle: etwas ganz genau betrachten zu können, ohne eine Vormeinung zu haben) und mit gezielten, aber sanften Impulsen unter maximaler Einbeziehung der Selbsttätigkeit komplexe Systeme, wie das der Entwicklung, steuern können.

Die Systemfelder

Um den Kindern mit Problemverhalten die Möglichkeit geben zu können, sich optimal zu entwickeln bzw. noch nicht realisierte Entwicklung zu entfalten und gleichzeitig der gesetzlich geregelte Erziehungs- und Bildungsauftrag erfüllt werden kann, ohne über "Aus- und Besonderung" zu arbeiten, muss der Kindergarten der Zukunft aus unserer Sicht folgende Systemfelder vorbereiten und gleichzeitig zur Verfügung stellen können:

Für die Kommunikationspädagogik bilden die Systemfelder Pädagogik, Förderung und Therapie das Grundgerüst, über das sich ein dichtes Netzwerk von Überlegungen, Methoden und Techniken spannt, so dass die notwendigen Bedingungen hergestellt werden können, die es dem Kind mit Problemverhalten möglich werden lassen, Entwicklung und Problemlösung möglichst natürlich, selbstgesteuert aus sich heraus zu realisieren. Es werden dazu dem Kind adäquate Strukturen und Hilfen angeboten, über die die Bedürfnisse des Kindes Anschluss finden und es sich wieder seiner natürlichen Sprache, dem Spiel, bedienen kann. Das Ziel aller Überlegungen und Gestaltungen ist, dass sich "Begebenheiten" ereignen können, welche das innere Erleben sichtbar und zunehmend bewusster machen und allmählich aus der Abgeschlossenheit zur Vielfältigkeit des Lebens hinführen. Dadurch wird das Mikrosystem (das primäre Lebensfeld des Kindes, die Familie: vgl. dazu Bronfenbrenner, U.: Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart, Klett-Cotta, 1985) um einen "Lebensraum" erweitert, der die wichtigsten Elemente enthält, die Beziehung, Entwicklung und Kommunikation fördern, so dass Selbstwahrnehmung, Umgang mit Gefühlen, persönliche Verantwortung, Selbstsicherheit, positive Bindungen und daraus resultierend Frustrationstoleranz sowie verbessertes emotionales Verstehen etc. sich entfalten und ausbilden können.

In Zukunft wird es nicht genügen, dass der Kindergarten mit allem was dazugehört als ein "Metasystem" betrachtet wird, das aus einer Reihe von Sub- und Hilfssystemen (verschiedene Spielbereiche, Erlebniskreise und dort wiederum verschiedene Angebote und Aktivitäten, Sozialformen etc.) zusammengesetzt ist, die über traditionell-pädagogische Überlegungen verbunden sind. Es müssen, um den Anforderungen gerecht zu werden, im System neue qualitative Differenzierungen vorgenommen und eingeführt werden. Diese Differenzierungen beziehen sich im wesentlichen auf die Erweiterung der fachliche Kompetenz der Kindergartenpädagoginnen, den daraus resultierenden neuen methodisch-didaktischen Zugängen, sowie der Gruppen- und Teamzusammenstellung, wie nachfolgend deutlich gemacht werden wird.

Das Systemfeld "Pädagogik"

Das erste Systemfeld - die Basis - bilden die "allgemeinen pädagogischen Überlegungen" für die Begegnung und den Umgang mit dem Kind und seinen Bezugspersonen. Diese schaffen, gemeinsam mit den räumlich-zeitlichen, den inhaltlichen, den materiellen sowie den methodisch-didaktischen Überlegungen die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, so dass im zweiten und dritten Systemfeld, den "begleitenden Fördermaßnahmen" sowie den "speziellen therapeutischen Überlegungen" wirksam gearbeitet werden kann. Das bedeutet, dass die allgemeinen Rahmenbedingungen so gestaltet sein müssen, dass Kinder mit Problemverhalten grundsätzlich im System Kindergarten einen Lebensraum vorfinden, in dem sie mit ihren besonderen Bedürfnissen aufgenommen werden und Anschluss finden können. Wenn in der Arbeit im Kindergarten konsequent von einer Entwicklungs- bzw. Bedürfnisorientierung sowie einer Problem- und Zielorientierung ausgegangen wird, dann ist klar, dass die Kindergartenpädagoginnen (siehe dazu Abschnitt: Kurze Zwischenbemerkung) neben allem notwendigen Fachwissen zu ihrem Beruf (Systemfeld "Pädagogik") zusätzlich über ein differenzierteres Wissen zu möglichen Ursachen, Hintergründen sowie Erscheinungsformen von Problemverhalten und über Praxis in entsprechenden Interventionsformen verfügen müssen, um die Problem- und Bedürfnislagen der Kinder im Ansatz erkennen und darauf reagieren zu können. Damit verbunden werden "Umstellungen und Neueinstellungen" im System notwendig, die ob ihrer Komplexität an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden können. Festgestellt werden kann, dass sich der Kindergarten als integrierender Lebensraum in den genannten Bereichen radikal infragestellen und wieder neu definieren muss.

Das Systemfeld "Förderung"

Auf das Systemfeld "Förderung" beziehen sich alle jene Überlegungen, die darauf abzielen, einzelne Funktionen (Wahrnehmung, Sprache, Denken etc.) zu erwerben bzw. zu verbessern und die das Systemfeld "Pädagogik" um die Dimension der Förderung erweitern und spezifizieren (traditionell die Rolle einer Sonderkindergärtnerin). Damit beinhaltet und umfasst das Systemfeld "Förderung" alle jene Aktivitäten und Angebote, die darauf abzielen, dem Kind Selbstentfaltung und die Entfaltung von Funktionen über die Bereitstellung von entsprechenden Angeboten in den verschiedenen Dimensionen des Systemfeldes zu ermöglichen.

Auch hier wird deutlich, dass die Kindergartenpädagoginnen über theoretische (Entwicklungspsychologie, Sonder- und Heilpädagogik, Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie etc.) und praktische Erfahrung verfügen müssen, oder aber von einer Kollegin diesbezüglich beraten und in der praktischen Umsetzung unterstützt werden bzw. diesen Bereich der Arbeit im Zuge einer interdisziplinären Teambildung übernimmt. Sehr häufig wird auch im Kindergarten übersehen, dass erst Funktionen und Fertigkeiten über das Spiel mit den Sinnen entwickelt werden müssen, damit es zu einem befriedigenden Beziehungs- und Anpassungsverhalten kommen kann. Jedem Praktiker ist klar, dass Funktionen, Fähigkeiten und Fertigkeiten die Basis dafür bilden, was jeweils bewältigt werden kann.

Das Systemfeld "Therapie"

Im Systemfeld "Therapie" sind für die Kommunikationspädagogik alle Überlegungen, Angebote, Methoden und Interventionsformen beheimatet, die über Pädagogik und Förderung hinausgehen (Gezeichnete Geschichten, siehe Hofferer, M.: Besondere Methoden der Kommunikationspädagogik: Gezeichnete Geschichten, veröffentlicht in: http://bidok.uibk.ac.at/texte/hofferer-kommunikation.html, Stand: 25. Oktober 1999; Dilemmageschichten etc.). Das Systemfeld "Therapie" beinhaltet also solche Aktivitäten, die vor dem Hintergrund systemtheoretischer, tiefenpsychologischer und psychoanalytischer Theoriebildungen in der Absicht gesetzt werden, dass dem Kind geholfen wird, sich seiner unbewussten Wünsche, Gefühle, Befürchtungen, Erinnerungen, Phantasien, Abwehrversuche, bewusst zu werden bzw. Beziehung und Kommunikation zu initiieren und damit im Zusammenhang stehende Strukturen zu erarbeiten, die eine Kommunikation auf der Basis gegenseitiger Anerkennung auf Dauer stellen können und schließlich diesen Prozess so lange zu begleiten, bis sich diese Strukturen so etabliert haben, dass das Individuum in der Lage ist, seine weitere Entwicklung selbst zu steuern. Grundsätzlich wird die Verbesserung der Erlebens- und Handlungskompetenz bis hin zur Möglichkeit der Selbststeuerung angestrebt. Daher wird prinzipiell bei den Elementen der Erlebens- und Handlungskompetenz der Person angesetzt, die sich als "psychische Operationen" (vgl. dazu das Konzept "Psychische Operationen" von Univ. Prof. Dr. Karl Garnitschnig - direkt beim Autor zu beziehen!) äußern und die dazu nötig sind, um im Austausch mit der Mit- und Umwelt adäquat handeln zu können. Die Kommunikationspädagogik versucht jedoch nicht nur die Erlebens- und Handlungskompetenz zu verbessern, sondern intendiert und unterstützt eine zunehmende Bewusstheit über die Bedingungen des eigenen Geworden-Sein.

Therapeutische Maßnahmen greifen immer in weite Bereiche des kindlichen Lebens ein und deshalb dürfen die Interventionsformen nicht zu eng gesehen werden. Wir weisen explizit darauf hin, dass schon allein das miteinander Spielen seelische Vorgänge in Gang setzen kann, die eine wesentliche therapeutische Hilfe bringen können, da durch die Art des Miteinander Umgehens, durch den Spielinhalt etc. wesentliche innere Um- und Neustrukturierungen bewirkt werden können (vgl. dazu Dührssen, A., 1980). Wenn auch das von therapeutischen Zielsetzungen geleitete Handeln und Verhalten konsequent ganz bestimmten Grundannahmen und Prinzipien folgt (siehe dazu den Abschnitt: Die Prinzipien) und die Kindergartenpädagoginnen klar unterscheiden und entscheiden können, in welchem Systemfeld sie sich gerade bewegen und arbeiten wollen, dann ist sichergestellt, dass genügend "Spiel- und Entwicklungsraum" geschaffen werden kann, so dass sich der Prozess der Entwicklung und Problembewältigung entfalten kann.

Die oben angestellten Überlegungen bedeutet jedoch nicht, dass die Kindergartenpädagoginnen der Zukunft Förderspezialistinnen oder gar Psychotherapeutinnen sein müssen, sondern wollen nur darauf hinweisen, dass es schon heute eine Vielzahl von Konzepten, Methoden und Techniken gibt, die von der Pädagogik genützt werden könnten, wenn auch in der Aus- und Fortbildung ein sehr viel stärker bedürfnisorientierter und weniger trend-orientierter Weg gegangen werden würde.

Kurze Zwischenbemerkung

Als ideal erachten wir eine Teambildung, wo alle oben angesprochenen Kompetenzen Pädagogik, Förderung und Therapie gleichzeitig gegeben sind. In der Praxis lässt sich das, vor allem im Bereich der Therapie sehr schwer verwirklichen, und darum hat das Institut für Kommunikationspädagogik das Projekt "Assistenzpraxis" entwickelt (das derzeit auch erfolgreich im Wiener Übungskindergarten Hofzeile praktiziert wird.), das den Kindergartenpädagoginnen, den Sonderkindergartenpädagoginnen und den Eltern in gleicher Weise die Möglichkeit bietet, beratende und therapeutische Ressourcen und Hilfestellungen begleitend und vor Ort nützen zu können.

Über die Assistenzpraxis sind somit für besondere berufsbezogene und/oder inhaltliche Fragestellungen adäquate Ansprechpartner gegeben. So hat vergleichsweise jede Schule Zugang zu einem speziell geschulten Schularzt, schulpsychologische Beratung und Betreuung und darüber hinaus werden besondere Fördermaßnahmen in pädagogischen bzw. sonderpädagogischen Problemfeldern angeboten. Damit verfügen auch Kindergärten, die selbst nicht genügend eigene Ressourcen zur Verfügung stellen können, über ein wirksames Instrument, um Klärungen in sensiblen Problembereichen vornehmen zu können. Die Inhalte der Unterstützung beziehen sich neben der praktischen Assistenz für den Kindergartenalltag und der Elternarbeit sowie der Elternbetreuung auf die (1) Fachbetreuung der Kindergartenpädagoginnen und Sonderkindergartenpädagoginnen, die (2) Supervision, (3) Krisenintervention (4) Teamberatung und Teambetreuung.

Vorläufige Zusammenfassung

Wer bisher aufmerksam gelesen hat, wird bemerkt haben, dass immer wieder der Begriff "Entwicklung" verwendet wurde. Nun soll kurz skizziert werden, wie der Begriff zu verstehen ist. Die Kommunikationspädagogik verwendet diesen Begriff in seiner ursprünglichen - aus den Vorstellungen der Pflanzenwelt kommenden - Bedeutung. Dort meint der Begriff "Entwicklung", dass eine Pflanze sich nach ihren eigenen Maßstäben und zeitlichen Kriterien von innen heraus entwickelt; also autonom ist und keine zweite Pflanze benötigt, die ihr vorgibt, wie sie zu wachsen hat. In unserer Vorstellung verhält es sich beim Menschen ebenso. Im Abschnitt "Folgen und Auswirkungen" haben wir davon gesprochen, welche Probleme die Kinder ausbilden und zuvor auch Hinweise gegeben, warum das so ist. Eine der häufigsten Ursachen von Problemverhalten sehen wir darin, dass der Grossteil der Kinder, früh und massiv in der autonomen Selbststeuerung behindert wurde. Der Mechanismus (vgl. dazu Liste der Problembereiche), der am häufigsten gefunden werden kann, ist der des raschen Wechselns von Unselbständigkeit zu Selbständigkeit (am deutlichsten sichtbar in Übergangsphasen: z.B. Elternhaus in Kindergarten, Kindergarten in Schule etc.), den wir als "die Vertreibung aus dem Paradies" bezeichnen. Dabei wird zunächst Entwicklung im oben angesprochenen Sinn durch "Vorweg- und/oder Abnahme" erschwert und danach durch die nicht adäquaten Anforderungen an die "sich noch nicht entwickelnd habende Selbstständigkeit" zusätzlich zunehmend verunmöglicht). Ein Teufelskreis, der auf beiden Seiten - Kind und Eltern - zu schweren Irritationen in der Beziehung führt!

Die Überlegungen zur Bereitstellung der drei Systemfelder, sind also nicht der Versuch über möglichst gezielte Fremdsteuerungen kindliche Entwicklung zu fördern, sondern müssen vielmehr als der Versuch verstanden werden, in den unterschiedlichen Systemfeldern mit dem Kind (über sich als Person, Inhalte, Materialien, Raum und Zeit) in ein "gemeinsames komplexes System" zu kommen, um eine dynamische Interaktion herzustellen, so dass Entwicklung und damit Lernen möglich werden können (Lernen wird in diesem Zusammenhang als ein das Leben unaufhörlich begleitender Prozess verstanden). D.h., dass der Kindergarten dem Kind konkrete Angebote machen können muss, die es annehmen kann und die es dazu anregen Fragen zu stellen, um in einen "natürlichen Dialog" zu kommen, der offen ist (diese Form des Arbeitens macht eine radikale Infragestellung der eigenen Sichtweisen und eine besondere Form der Beobachtung notwendig. Siehe dazu Skriptum: Hofferer, M.: Die Diagnose in der Kommunikationspädagogik, 1998).

Das Spiel als Verbindung von Pädagogik, Förderung und Therapie

In der Kommunikationspädagogik verbindet das Spiel (siehe dazu: Hofferer, M.: Eine kleine Einführung: Kommunikationspädagogik - Was ist das? In: Der Sprachheilpädagoge, Fachzeitschrift für Sprachgeschädigten- und Schwerhörigenpädagogik, 1999, S. 43-47), als die Tätigkeit des Miteinander Umgehens, alle drei Systemfelder. H. Zulliger bezeichnet das Spiel als "die eigentliche Sprache des Kindes" (1952, S. 24). Daher ist es günstig immer den Zugang über das Spiel zu suchen. Die Kommunikationspädagogik geht davon aus, dass die psychische Befindlichkeit und die vom Kind noch nicht sprachlich mitteilbaren inneren Erfahrungen und Konflikte über das Spiel (und alle seine natürlichen Formen) am deutlichsten und direktesten zum Ausdruck gebracht werden können, so dass in der jeweiligen Lebenswelt des Kindes ausreichend Angebote zur Verfügung stehen müssen, damit es spielend tätig werden kann.

Das Spiel vereint gleichzeitig die Möglichkeiten zur Vorwärts- bzw. Rückwärtsorientierung und die Ausbildung neuer Funktionen. Das Spielen ermöglicht dem Spieler, vergangene Lebenserfahrungen und -welten auszuspielen, aufarbeitend wiederzuerfahren, zu klären, auszugleichen und in eine gleichgewichtige Struktur zu bringen (wie es im Systemfeld "Therapie" intendiert ist). Es ermöglicht aber auch, über zukünftige, noch nicht voll erfahrene und entfaltete Lebenswelten Zusammenhänge zu vermitteln, neue Inhalte und notwendige Funktionen anzunehmen und aufzubauen, die den Spieler auf das zukünftige Leben vorbereiten (wie in den Systemfeldern "Pädagogik" und "Förderung" angestrebt). Und schließlich eröffnet das Spiel dem Kind die Möglichkeit des freien symbolischen Umgangs mit der inneren und äußeren Welt. D.h., zwischen dem Kind und dem Spielpartner entsteht ein potentieller Raum, der sogenannte "intermediäre Raum", der dem Kind zunehmend Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeiten bietet und als Basis für Kreativität und Selbsterkenntnis anzusehen ist (vgl. dazu Winnicott 1978/1979).

Ist der Kommunikationspädagoge bzw. die Kindergartenpädagogin in der Arbeit mit den Kindern - im Sinne von entwickelnd - tätig, so sprechen wir von Erziehung bzw. in besonderen Formen von Förderung; ist er/sie, gemeinsam mit dem Kind eher aufdeckend, dramatisch-ausagierend, abwandelnd und lösend tätig, sprechen wir von Therapie. Die Übergänge sind in der Regel fließend, und es kann in der Praxis tatsächlich keine wirklich exakte Trennung zwischen Erziehung, Förderung und Therapie vorgenommen werden. In der Regel balanciert der Kommunikationspädagoge ständig mehr oder weniger zwischen den drei Bereichen hin und her.

Es ist vor allem der interpersonelle Prozess, bei dem ein Kommunikationspädagoge systematisch die heilenden Kräfte des Spiels einsetzt, um dem Kind zu helfen, seine physiologischen und/oder psychologischen Schwierigkeiten erfolgreich zu bearbeiten. Der Kontakt wird auch deshalb über das Spiel aufgenommen, weil das Spiel die natürlichste Art des Kindes ist, sich selbst auszudrücken. Gerade bei Menschen und das unabhängig von ihrem Alter, die Schwierigkeiten in einzelnen Funktionsbereichen haben, bzw. ihre Gefühle, Bedürfnisse und Gedanken nicht in Worten ausdrücken können, wird das Spielen zu einer wunderbaren und äußerst fruchtbaren Austausch- und Entwicklungsform. Hinzu kommt, dass das Spiel die "Arena" bietet, in der sich Entwicklung natürlich und unter ganzheitlicher Beteiligung vollziehen kann, so dass das Spielen den Kindern auf immer bewussterer Weise erlaubt, die Gedanken und Gefühle, die Wünsche und Vorstellungen etc. in Szene zu setzen. Das Spiel dient somit dem Kind auch dazu, Gedanken, Gefühle und Konflikte zu enthüllen, die ihm bislang völlig unbewusst sind. Durch das Spiel entsteht ein Fenster, durch das die unbewussten Inhalte bewusst werden können.

Im Anschluss soll ein Beispiel verdeutlichen, wie eng aneinander und wie überlappend die einzelnen Systemfelder liegen:

Betrachten wir das Spiel mit dem Ball zwischen dem Kind und dem Therapeuten, dann kann ein Beobachter nur annähernd ahnen, in welchem Systemfeld der Kommunikationspädagoge gerade arbeitet und der Kommunikationspädagoge selbst kann nur mutmaßen was wirklich den Spaß und die Freude beim Kind auslöst. Der Prozess kann vom Kommunikationspädagogen zwar gestaltet werden, was aber das Kind tatsächlich auf- und annimmt, bleibt ein Geheimnis!

Die Systemfelder selbst sind wiederum über "Basishilfen" miteinander verbunden. Die Kommunikationspädagogik subsumiert unter diesem Begriff ein System von Überlegungen und Maßnahmen, die das Kind auf dem Weg des Beziehungsaufbaues sowie des Um- bzw. Neulernens unterstützend tragen.

Die Basishilfen

Diese Hilfestellungen orientieren sich zum einen am Entwicklungsalter und zum anderen an den Bedürfnissen bzw. den Ressourcen der Kinder sowie deren konkrete Frage- und Problemstellungen. Damit, wie oben ausgeführt, das Spielen und Experimentieren in Gang kommen kann, unterscheidet und benützt die Kommunikationspädagogik drei Arten von Basishilfen:

  • strukturelle Basishilfen
  • pädagogisch-psychologische Basishilfen
  • materielle Basishilfen

Die strukturellen Basishilfen

Die "strukturellen Basishilfen" beziehen sich auf die Teile und die Anordnung der das Ganze bildenden Teile (Person, Inhalt, Material, Raum, Zeit, Methodik und Didaktik). D.h., es genügt nicht, dass im Lern- und Arbeitsfeld einzelne fördernde Elemente vorhanden sind, sondern sie müssen immer auch in einer ganz bestimmten Art und Weise konfiguriert, d.h., miteinander verbunden sein, so dass Entwicklung möglich werden kann. Konkret bedeutet das, dass die Bedingungen für ein kontaktgehemmt-ängstliches Kind andere sein müssen als die für ein aggressiv-distanzloses Kind, was zur Folge hat, dass der Kindergarten solche Strukturen schaffen muss, die beiden Ausgangslagen gerecht werden können.

Die pädagogisch-psychologischen Basishilfen

Mit dem Begriff "pädagogisch-psychologische Basishilfen" werden alle Haltungen, Maßnahmen, Angebote und Aktivitäten bezeichnet, die direkt von den Kindergartenpädagoginnen ausgehen. Hierzu zählen die Art des Umgangs, die Anteilnahme und das Interesse, das Verstehen, das Verhalten, die Inhalte, die Sprache, das Tempo, die Bestätigung und die Anerkennung, die dem Kind ein bewusstes und aktives Tätigsein bei gleichzeitiger Sicherheit erlauben. Und auch hier wird sich das Angebot je nach Problemlage anders darstellen.

Für diesen Bereich haben wir die Beobachtung gemacht, dass es unbedingt notwendig ist, dass die Mitarbeiterinnen eines Kindergartens sich einer laufenden Fortbildung und einer Supervision unterziehen müssen, da die Art des miteinander Umgehens, das die Probleme erkennen und entsprechend auf das Kind eingehen können, nur über die "Reflexion der eigenen blinden Flecke" und das "Infragestellen der eigenen Vorannahmen und Routinen" möglich wird.

Die materiellen Basishilfen

Der Begriff "materielle Basishilfen" meint die gezielte Bereitstellung der Hilfsmittel und -materialien, die von den Kindern für ihre Entwicklung benötigt werden. Die Arbeit mit dem Material stellt insgesamt eine wichtige Funktion in der Methode der Kommunikationspädagogik dar, da sehr viel über das Material als Stellvertreter gearbeitet wird. Damit ist aber nicht gemeint, dass - wie es momentan wieder der Trend ist - die Natur und die Umwelt in Form von Spielmaterialien (Gesellschafts- oder Lernspiele, Bilderbücher, Experimentierecken udgl.) zu den Kindern in den Kindergarten kommt! Materielle Basishilfen sind ganz elementare und einfache Materialien (Bälle, Seile, Glaskugeln, Holzbausteine etc.), die der Kreativität viel Spielraum lassen und die vor allem Kommunikation und Interaktion anregen (siehe dazu Skriptum: Das Materialangebot in der Kommunikationspädagogik, Eigenverlag, Wien, 1998).

Erst durch das Zusammenspiel der einzelnen Elemente wird in den einzelnen Systemfeldern ein Beziehungs-, Entwicklungs- und Lernmilieu geschaffen, in dem sichergestellt ist, dass die Kinder mit Beziehungs-, Bindungs- und Anpassungsproblemen den Raum und die Aufgabenstellungen vorfinden und die sich daraus ergebenden (allgemeinen und speziellen) Anforderungen mit zunehmender Selbständigkeit umsetzen und die damit in Verbindung stehenden Ziele erreichen können. Insgesamt sind wir der Meinung, dass sich der Kindergarten öffnen und das "Erlebnis" dort abholen muss, wo es seinen Sitz und Ursprung hat.

Die zentrale Aufgabe, die dem Kindergarten in der Zukunft zukommt ist, zum einen "das Finden", zum anderen die jeweils richtige "Mischung der Teile"(es empfiehlt sich, die Planung und Reflexion dieser Angebote und Aktivitäten immer im Team zu erarbeiten!) und das Gestalten eines Systems - eines Spiel- und Experimentierraums - innerhalb dessen Entwicklung vom Kind aus realisiert werden kann. Insgesamt stellt diese Art des Arbeitens einen dynamischen Prozess dar, der auf einer Basis ruht, die aus entwicklungsfördernden Grundsätzen und Prinzipien geflochten ist.

Die Prinzipien

Die wichtigsten "Prinzipien", die von der Kommunikationspädagogik für die Gestaltung des miteinander Umgehens herangezogen werden, sind:

Das Prinzip

  • der Achtung und Akzeptanz der Individualität des Gegenübers
  • der Förderung der Gesamtpersönlichkeit
  • der bewussten Gestaltung einer anregenden und lebensweltbezogenen Umwelt
  • der bewussten Gestaltung entsprechender Zeit- und Inhaltsstrukturen
  • der kleinsten und kleinen Schritte
  • der Möglichkeit der Selbstkorrektur und Selbstkontrolle
  • der Problemorientierung und Lebensnähe der Lerninhalte
  • des Aufbaues von Lernprozessen vom Einfachen zum Komplexen
  • des Bewusstmachens, Verstärkens und Sicherns erfolgreicher Lern- und Entwicklungstendenzen
  • des Lernens in einer stressfreien Umgebung
  • des Lernens in überschaubaren Ordnungen und Strukturen
  • des möglichst selbstorganisiert aktiven Lernens
  • des Sicherns des Lernerfolgs durch die Möglichkeit der wiederholten Anwendung
  • des situationsorientierten Lernens
  • des Wechsels von Selbständigkeit zu Gewährung von Unterstützung
  • des Wechsels von spielerischen Angeboten zu Förderangeboten und therapeutischen Angeboten.

Es genügt jedoch nicht nur zu wissen, "was" man "warum" tun wird/tun will, sondern es kommt vor allem auf das "wie wird man es tun" an. Igor Caruso soll einmal gesagt haben: "In der Analyse kann man alles machen, nur muss man wissen, warum und wozu dies oder jenes gemacht wird." (zit. nach Tanco Duque 1988, S. 78)

Zusammenfassung

Wie schon wiederholt angesprochen, bilden die jeweiligen Individuallagen der Kinder (der konkrete Erlebnis-, Bedürfnis-, Entwicklungs-, Interessens-, Problemhintergrund) die Basis für die Gestaltung der Begegnung und der Angebote. Ausgehend von dieser Individuallage, die als Bedürfnislage zu verstehen ist, muss eine adäquate Raum-, Personen-, Inhalts-, Material-, Zeitstruktur gewählt und gestaltet werden, in der die Motivationen zur Auseinandersetzung und Aneignung zu möglichst gleichen Teilen im Kind und in der Umwelt liegen, so dass eine maximale Selbststeuerung von Seiten des Kindes gegeben ist. Erst wenn ein derart dynamisches Verhältnis zwischen innerer Beteiligung (Kind) und äußerer Anforderung (Umwelt) hergestellt ist, bleibt der Lern- und Entwicklungsprozess von selbst aufrecht. Je kompetenter die Kindergartenpädagoginnen - in der Beobachtung, der Planung und der Ausführung - in den einzelnen Systemfeldern sind, je klarer sie die einzelnen Systemfelder trennen und je spielerischer sie zwischen den einzelnen Bereichen wechseln können, desto besser wird ihnen ihre Arbeit gelingen. Im Hinblick auf die Gestaltung und Umsetzung muss aber auch festgehalten werden, dass es immer mehrere und unterschiedliche Möglichkeiten und Wege für die Vorgehensweise gibt. Das Finden von Situationen, die es dem Kind mit Problemverhalten schlussendlich möglich machen, sich der Welt und sich selbst wieder zuzuwenden, sich mit ihr aktiv auseinander zu setzen, sie zu verstehen zu versuchen, sie sich anzueignen, sie im Detail wieder zu hinterfragen und zu bearbeiten etc., ist der eigentlich kreative Moment der Kindergartenarbeit der Zukunft. Die Kindergartenpädagoginnen müssen sich daher wirklich im Detail und immer wieder damit beschäftigen, wie sie die Situation "Kindergarten" gestalten und wie sie die Angebote den Kindern näher bringen, so dass diese immer wieder neu tätig werden können und ein Entwicklungs-, Veränderungs-, Spiel-, Arbeits-, Experimentier- und Forschungsprozess nicht nur angeregt sondern auch beibehalten bleibt und integriert werden kann.

Das Ergebnis eines derart dynamischen Planungs- und Gestaltungsprozesses sind immer wieder neue und gezielte Spiel-, Experimentier- und Beschäftigungsangebote, die bei den Kindern Beziehungs-, Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse auslösen und weiterentwickeln bzw. sichtbar machen können, wo das Kind gerade steht und welche Probleme es hat. Durch diese Art der Planung und Arbeit werden auf der Ebene des miteinander Umgehens systematisch die Rahmenbedingungen und Grundlagen geschaffen, so dass die Kinder nicht nur maximale Möglichkeiten zur Realisation des momentanen Selbst vorfinden können, sondern sie sich auch auf die Veränderungsprozesse einstellen, einlassen und dabei aktiv mitarbeiten können.

Zum Abschluss möchten wir, um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen, betonen und hervorheben, das diese Art des miteinander Arbeitens nicht nur den Kindern mit Problemverhalten zugute kommt, sondern dass alle Kinder von dieser Form des bedürfnis-, problem- und zielorientierten Vorgehens profitieren.

Literatur

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Quelle

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet Manfred Hofferer (u.a.): Wenn Verhalten Probleme macht! http://bidok.uibk.ac.at/texte/hofferer-kindergarten.html (HTML-Version), ftp://ftp.uibk.ac.at/pub/uni-innsbruck/bidok/texte/hofferer-kindergarten.zip (RTF-Version), Stand: 3. 11. 1999

Ausbildungs- und Kurshinweise

Das Institut für Kommunikationspädagogik bietet neben einer berufsbegleitenden Ausbildung zum/zur Kommunikationspädagogen/in eine Reihe von Kursen und Seminaren speziell für Kindergartenpädagoginnen an, wo diese Art des Arbeitens mit Kindern mit Problemverhalten theoretisch und praktisch erlernt werden kann. Bei Interesse fordern Sie die dementsprechenden Unterlagen an bzw. setzen Sie sich mit uns in Verbindung.

Autoren

Mag. Renate Fanninger: Psychologin, Kinder- und Familientherapeutische Kommunikationspädagogin, derzeit zusätzlich Diplomstudium der Sonder- und Heilpädagogik

Mag. Dr. Manfred Hofferer: Erziehungswissenschafter, Sonder- und Heilpädagoge, Kinder-, Familien und Erwachsenentherapeutischer Kommunikationspädagoge, Kindergärtner und Sonderkindergärtner

Mag. Stefan Royer: Erziehungswissenschafter, Sonder- und Heilpädagoge, Kinder- und Familientherapeutischer Kommunikationspädagoge

Adresse

Mag. Dr. Manfred Hofferer
Schwarzwaldgasse 10-12/4/2
A - 1230 Wien
Email: [email protected]